Recensies
Milchspuren, die lesbar werden
Thomas Thiel im Gespräch mit der Künstlerin Esther Polak
Die holländische Künstlerin Esther Polak arbeitet bereits seit einiger Zeit mit den visuellen und dokumentarischen Möglichkeiten von GPS (Global Positioning System). Bei einem ihrer letzten Projekte - Amsterdam RealTime – zeichnete sie die alltäglichen Wege einiger Teilnehmer jeweils für eine Woche auf und übertrug diese in Echtzeit in einen Galerieraum.
In der Ausstellung Making Things Public im ZKM Karlsruhe stellt Sie ihr neuestes Projekt Milkproject vor, das sie in Zusammenarbeit mit der lettischen Kuratorin Ieva Auzina sowie dem RIXC - Riga Center for New Media Culture entwickelt hat. Mittels GPS versucht Milkproject die Bewegungen der Milch vom lettischen Bauern und Milchfahrer bis hin zum holländischen Käsefabrikant und -händler festzuhalten. Die Beteiligten, die nach verrichteter Arbeit mit ihren eigenen Spuren konfrontiert werden, geben Einblick in ihre Geschichte und Situation. Die damit skizzierte Linie Lettland – Holland mit samt ihren Teilstücken steht letztendlich stellvertretend für die Wege, die im internationalen Lebensmittelhandel tagtäglich zurückgelegt werden – für eine Landkarte die täglich neu gezeichnet wird.
TT: Deine Arbeit Milkproject ist eingebunden in den Ausstellungsbereich „Neue politische Leidenschaften“. Was waren deine primären Interessen an Milkproject und wie findest du dich innerhalb dieses Bereiches wieder?
EP: Das Projekt ist vor dem Hintergrund unterschiedlichen Konzepten und Gesichtspunkten entstanden. Ein Gedanke war, dass wenn man einen Teller mit Essen vor sich hat, hinter jedem Stück Lebensmittel eine ganze Landschaft besteht. Wenn man beispielweise, wie in Holland weit verbreitet, ein billiges Stück Schweinefleisch kauft, dann lässt sich hinter diesem Stück Schweinefleisch eine ganze Landschaft von Transportwegen etc. entdecken. Menschen sind daran beteiligt und hinter jedem Stück lassen sich viele Bewegungen, und Landschaften entdecken. Das ist unser Grundinteresse und das möchten wir auch zeigen. Wir zeigen die Bewegungen, die Landschaft und die Leute, die für diese Lebensmittel stehen.
Das alles ist aber nicht explizit im Projekt zum Ausdruck gebracht, sondern ist etwas von dem ich hoffe, dass die Besucher es entdecken - das ein Interesse an der Herkunft von Essen besteht.
Es gibt noch eine andere Vorstellung, welche man mit dem Projekt in Zusammenhang bringen kann. Heutzutage fühlt man sich komisch, wenn man nicht weiß, vorher die Nahrungsmittel kommen. Es gibt beispielweise eine Organisation, die sich „Slow Food“ nennt und spezielle Abendessen mit lokalen Produkten organisiert. Sie treffen sich an bestimmten Orten und essen dann ausschließlich die Nahrungsmittel von diesem Ort. Sie greifen bei der Zubereitung auf alte, traditionelle Methoden zurück und ignorieren die ganzen neuen Technologien und die Wirtschaft. Milkproject soll dagegen zeigen, dass man die heutige Technologie, die einen zuallererst abschrecken mag, durchaus nutzen kann. Heutzutage macht Technologie es möglich, dass Nahrungsmittel aus aller Welt zur Verfügung stehen und es gibt keinen Grund warum diese Technologie dich nicht mehr mit den Quellen des Produkts verknüpfen kann. Ein Mangel liegt nur vor, weil die Verbraucher danach nicht fragen. Es gibt keinen Grund warum man nicht wissen sollte, wo die Mango von den Philippinen gewachsen ist – man könnte eine Webcam einrichten etc.
TT: Du meinst also, dass erst einmal nicht schlechtes daran ist ein Nahrungsmittel aus einem weit entfernten Land zu importieren und zu konsumieren? Du möchtest nur die Quelle kennen.
Ja, denn zu wissen woher die Nahrungsmittel kommen, hebt den Genuss sie zu essen. Es macht mehr Spaß, man kann seinen Teller voller „Reisen“ haben. Deshalb ist unser Projekt kritischer bezüglich der Vorstellung, dass Technologie die Menschen von den Dingen entfremdet. Es gibt einen Satz, der besagt: „Technologie gibt dir die Möglichkeit eine neue Intimität zu den Dingen aufzubauen.“ Diese Idee gefällt mir gut und das wollte ich mit dem Projekt bewirken - eine neue Intimität zu den Dingen herzustellen. Es gibt keinen Grund, warum eine direkter Erfahrung mit Technologie nicht möglich sein sollte. Das ist mein Standpunkt.
Es gibt aber einen ganz anderen Standpunkt von dem man das Projekt betrachten kann. Für mich hat Bildende Kunst nicht zwangsläufig etwas mit Visualität zu tun, sondern mehr mit der Repräsentation von Raum. Ich habe mich sehr für die Entwicklung der Perspektive interessiert. Die Möglichkeit den Gemälden seit der Renaissance eine Perspektive zu geben, das war eine Wissenschaft, eine Technologie für sich. Wenn man aber ein Bild vor dem Hintergrund dieser Technologie betrachtet, sieht man die Welt danach anders. Ich habe die GPS-Visualisierung entdeckt und mich dafür interessiert wie man diese Technologie einsetzen kann, um den Leuten ein anderes Gefühl von Raum zu geben. Wenn man den Menschen die Möglichkeit gibt ihre Bewegungen zu visualisieren, ist das wieder eine neue Revolution im Umgang mit Raum. Somit die Frage: Wird das etwas Neues hervorrufen?
Ich habe mit GPS zuerst in Amsterdam im Rahmen des Amsterdam RealTime-Projektes gearbeitet. Bei diesem Projekt haben einige Personen ein GPS-Gerät für eine Woche geliehen bekommen. Nach dieser Woche wurde ihnen einen Ausdruck ihrer eigenen Wege überreicht. Dieser Ausdruck hatte für viele den Stellenwert eines Portraits.
TT: Wenn wir über GPS sprechen, so gibt es viele andere Künstler, die sich ebenfalls mit dieser Technologie auseinandergesetzt haben. Da gibt es zum Beispiel das VOPOS Projekt von 0100101110101101.org. Sie pflegen einen eher kritischen Umgang mit den Überwachungsmöglichkeiten von GPS. Mit dem Projekt Can You See Me Now? von der englischen Künstlergruppe Blast Theory, das im Rahmen der DEAF03 präsentiert wurde – wurde per GPS eine neue Art des Spiels im Stadtraum entwickelt. Oder der Performer Dan Belasco Rogers, der ebenfalls mit GPS arbeitet und damit seine Wege durch die Stadt zu Zeichnungen werden lässt. Bei all diesen künstlerischen Ansätzen - was ist dein persönlicher Zugang zu GPS? Einiges ist ja schon angeklungen. Steht die Kombination von dokumentarischem Videomaterial und einem neuen Visualisierungs- und anderen Aufzeichnungswerkzeug im Vordergrund?
EP: Beim Amsterdam RealTime-Projekt haben die Leute ihre eigenen Ausdrucke betrachtet und begonnen Geschichten unterschiedlichster Art zu erzählen. Über ihre Bewegungen in der Stadt, aber auch über ihre Beziehung zur Stadt im Allgemeinen zu berichten. Auf der einen Seite haben sie sehr detaillierte Dinge erzählt, auf der anderen Seite gab es aber auch den distanzierten Blick.
In diesem Projekt waren wir allerdings nicht auf diese Reaktionen vorbereitet, wir hatten kein Format mit dem man irgendetwas hätte machen können. Wir hatten nur ein Buch ausgelegt, in das die Benutzer und Besucher ihre Kommentare schreiben konnten. Aber sie wollten nicht schreiben, sie wollten erzählen. Im Anschluss wurde das Projekt im Mai 2003 in Riga gezeigt. Dort habe ich Ieva Auzina getroffen, die erst etwas skeptisch war, da sie Schwierigkeiten mit dem Überwachungs-Aspekt hatte - das Amsterdam RealTime-Projekt war wirklich RealTime, man konnte die Menschen in der Stadt bei ihren Erledigungen beobachten. Schließlich war sie jedoch von den Möglichkeiten angetan und kam mit der Frage, was man mit GPS in ländlicher Umgebung machen könnte. Das war der Zeitpunkt als wir begannen die Technik auf dem Land auszuprobieren, im Süden Litauens. Wir gaben das GPS-Gerät unter anderem einem Milchfahrer und wir hatten daraufhin sehr große Lust mit ihm zu arbeiten. Wir merkten wie viel Geschichten auch auf dem Land zu finden sind und, dass man diese auf eine andere Art entdecken kann, als wenn wir einfach mit dem Mikrofon aufgetaucht wären und gefragt hätten: „Was denken Sie über die Veränderungen der Landschaft Litauens in den letzten 10 Jahren?“ „Was hat sich mit der Europäischen Union geändert usw...?“ So haben wir gar nichts gefragt, sondern haben Ihm einfach die Linien gezeigt und sind mit ihm einige Male unterwegs gewesen. Das war sozusagen das Pilotprojekt, aus dem dann das „Milkproject“ entstanden ist.
Hinzu kam die Information, dass Milch aus Litauen nach ganz Europa exportiert wird, was zur Idee führte ihren Weg nach Holland zu verfolgen. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir allerdings noch keine Vorstellung, wie wir das dokumentieren könnten. Generell ist sehr interessant, so eine neues Visualisierungswerkzeug benutzen zu können. Amsterdam RealTime konnte die Möglichkeiten dieser neuen Technologie zeigen. Danach wollten wir einen Schritt weiter und Geschichten erzählen, das war zumindest die ursprüngliche Idee bei diesem Projekt.
TT: Das Interessante für mich war, dass die Visualisierung der Routen und Spuren, die du verwendest, sehr abstrakt gehalten ist. Da ist dieses grüne Raster und die Linien, welche im Lauf der Zeit formieren. Das alles wird erst komplett und klar, wenn man die Erzählungen der Beteiligten hinzuzieht. Sie alleine wissen, für was der Punkt auf der Karte steht. Ohne ihre Hilfe und die Videos würde ich das nicht verstehen. Es gibt aber auch keine Interviews, also erklären die Beteiligten mir von selbst ihre Landschaft oder ihre Tätigkeiten.
EP: Das ist genau das, was diese Arbeit erreichen möchte. Es möchte die Erfahrung dieser abstrakten Bildern vermitteln, die immer lesbarer werden.
TT: Eine andere Sache, die du ebenfalls bereits angesprochen hast. GPS-Technologie wird oft im Stadtraum, auf Straßen, in Fahrzeugen verwendet und deine Idee diese relativ neue Technik mit Agrartechnologie und dem Landraum zu konfrontieren macht einen großen Reiz der Arbeit aus. Daneben habe ich gesehen, dass die Bauern ebenfalls ein großes Interesse an den neuen Möglichkeiten dieser Technik hatten, um beispielsweise – da ist wieder der Überwachungsaspekt – ihre Mitarbeiter zu kontrollieren oder um zu sehen, ob die Kuh in ihrer Abwesenheit ins Kartoffelfeld läuft. Meine Frage ist, wie du diese Technologie, neben deiner künstlerischen Arbeit, bewertest? Gibt es da auch eine kritische Haltung oder möchtest du grundsätzlich die positiven Eigenschaften hervorheben?
EP: Natürlich kann jede Technologie unterschiedlich verwendet werden. Man kann die Entwicklung von Technologie auch nicht stoppen. Die kritische Seite dieses Projekt könnte lauten, aber da möchte ich vorsichtig sein, dass man je mehr man den Leuten die Ästhetik und den Spaß an einer solchen Technologie zeigt, desto weniger ängstlich geht man damit um, desto mehr Menschen werden damit vertraut gemacht. Diese Beschäftigung ist Voraussetzung für eine Auseinandersetzung mit der Technologie. Zum Beispiel bietet das Handy ähnliche Möglichkeiten wie GPS. Jeder Nutzer kann geortet werden, viele Handynutzer wissen das aber gar nicht. Mit meiner Installation verdeutliche es das aber, so dass die Menschen wissen, dass sie sich eigentlich wie in einem kleinen Dorf bewegen und nicht unsichtbar sind, wie das in einer großen Stadt zu sein scheint. Ich sehe darin allerdings erst einmal kein Problem, so lange man realisiert, dass das so ist.
TT: Vielleicht kennen die Leute auf dem Land das Gefühl der Beobachtung mehr als die in der Stadt?
Ja, vielleicht bringt die Technologie die große ländliche Intimität in die Stadt zurück...(lacht)
|